DOOM SPA – Zum schönen Knie II

DOOM SPA, Ablaufgrafik, © Grafik: Rosaline Rannoch, 2022

© zukunftsgeraeusche, 2022

” Sie versuchten die Straße zu überqueren, doch an keiner Stelle fanden sie eine Ampel oder den richtigen Moment, in dem der Fluss des Verkehrs lange genug still stand, um zwischen den Autos hindurch zu hasten; sie bewegten sich von einem Segment zum nächsten, gegen den Uhrzeigersinn, den Scheinwerfern der Fahrzeuge entgegen, die dann in verschiedene Teile der Stadt umgeleitet werden und das verlassen, was sich Westen nennt, nur eines von vielen Zentren – aber wer konnte schon Himmelsrichtungen bestimmen oder sagen, wie spät es war, nachdem sie eine Weile die Insel umrundet hatten:

es war 1777, ein Knick in der barocken Achse, auf der die Hohenzollern zwischen ihren Schlössern pendelten; es war 1830, der Knick wurde zum Gelenk, zur Kniescheibe der Stadt, dem marschierenden Bein Preußens; es war 1937, das Knie zu einem Kreisel verdreht, eine der vielen megalomanischen Verzerrungen faschistischer Stadtplanung; es war 1945 und das Bein nur noch ein Stumpf, eine Brache, bis 1953 ein neuer Typus Stadt in Auftrag gegeben wird, einer der auf Automobilität ausgerichtet ist, als ob die mörderische Nation beschleunigen und seiner Schuld davonfahren könnte.

In den spiegelnden Fassaden der Solitärbauten ließen sich die Trümmer vergessen und selbstgefällig das Trugbild einer entnazifizierten Moderne bestaunen, die sich von ihrer verstrickten Vergangenheit ab und gegen ihre geteilte Gegenwart wendete: statt Monument ein flaches Raster mit quadratischen Einheiten von zehn mal zehn Metern, Rasenflächen, Beete und Wasserbecken, aus denen Fontänen in den Himmel schießen, 41 von ihnen, feierlich in Betrieb genommen im Jahr 1960: ökonomisches Wachstum!

Raster, Zellen, Prismen, Fensterflächen unterbrechen das Phantasma vom Ganzen und Ganzheitlichen; die Stadt der Nachkriegszeit sollte keine Plätze der Versammlung schaffen sondern individualisieren: lediglich ein Tunnel ermöglicht denen, die gehen und Treppen steigen können, den Zugang zur „Mittelinsel“, dieser dysfunktionalen Ikone, deren Nabel mit einem blauen Stein markiert ist, viel zu klein, um von den Büros oder Dächern der umgebenden Gebäude sichtbar zu sein, obwohl das ganze Areal für die Vogelperspektive entworfen zu sein scheint, wie es Bebauungspläne, Fotos und Postkarten suggerieren.

Architekturstudierende, Reinigungspersonal und Büroangestellte blicken auf Werbebanner, Bauschutt und wechselnde Beflaggung; Fontänen werden stillgelegt, Bänke abmontiert. Motorhauben, gebeugte Rücken auf Fahrrädern und Köpfe auf perspektivisch verkürzten Körpern rotieren in unterschiedlichen Geschwindigkeiten wie eigensinnige Zeiger einer Uhr. Einige von ihnen versuchen die Straße zu überqueren, den Moment zu finden, in dem sie den Fluss des Verkehrs unterbrechen und zwischen den Autos hindurch auf die andere Seite hasten können, zur Mitte, zum schönen Knie der Stadt.” Christopher Wierling

Doom Spa ist ein 2015 von Roseline Rannoch initiiertes Projekt, das sich sowohl digital als auch physisch verortet. Mit einer Basis in Kreuzberg entwickelt Doom Spa ästhetische und diskursive Formate, die die aktuellen gesellschaftlichen und technologischen Entwicklungen mitdenken.
Doom Spa hat eine Affinität zu Sound, zu Musik und zu Gifs und manifestierte sich bisher in so heterogenen künstlerischen Veranstaltungen wie Ausstellungen, Performances, Konzerten, einer mehrtägigen feministischen Convention, aber auch in digitalen Formaten wie einem Online-Workshop für Open-Source-Soundsoftware, einer interaktiven Website, live vertonten Slideshows oder versendete Texten. Doom Spa agiert bewußt am Rand von Reichweiten und Aufmerksamkeitsökonomien und versteht sich als feministisch und generationenübergreifend.

 

DOOM SPA – Zum schönen Knie II

© zukunftsgeraeusche, 2022

” They tried to cross the street, but at no point did they find a traffic light or the right moment for the flow of traffic to stop long enough to hurry between the cars; they moved from one segment to the next, counterclockwise, toward the headlights of the vehicles, which then diverted to different parts of the city, leaving what calls itself the west, just one of many centers-but who could determine cardinal points or tell what time it was after they had been circling the island for a while:

it was 1777, a kink in the baroque axis on which the Hohenzollerns shuttled between their castles; it was 1830, the kink becoming the joint, the kneecap of the city, the marching leg of Prussia; it was 1937, the knee twisted into a traffic circle, one of the many megalomaniacal distortions of fascist urban planning; it was 1945, and the leg only a stump, a wasteland, until 1953, when a new type of city was commissioned, one geared to automobility, as if the murderous nation could accelerate and drive away from its guilt.

In the reflecting facades of the solitary buildings, the ruins could be forgotten and the mirage of a denazified modernity could be smugly marveled at, which turned away from its entangled past and against its divided present: instead of a monument, a flat grid with square units of ten by ten meters, lawns, flowerbeds and water basins from which fountains shoot into the sky, 41 of them, ceremoniously put into operation in 1960: economic growth!

Grids, cells, prisms, window surfaces interrupt the phantasm of the whole and holistic; the city of the post-war period should not create places of assembly but individualize: only a tunnel allows those who can walk and climb stairs to access the “middle island,” this dysfunctional icon whose navel is marked with a blue stone, much too small to be visible from the offices or roofs of the surrounding buildings, although the whole area seems to be designed for a bird’s-eye view, as suggested by development plans, photographs and postcards.

Architecture students, cleaners, and office workers gaze at advertising banners, construction debris, and changing flagging; fountains are decommissioned, benches dismantled. Hoods, bent backs on bicycles, and heads on perspective-shortened bodies rotate at different speeds like wayward hands on a clock. Some of them are trying to cross the street, to find the moment when they can break the flow of traffic and hurry between cars to the other side, to the center, to the beautiful knee of the city.” Christopher Wierling

Doom Spa is a project initiated in 2015 by Roseline Rannoch that locates itself both digitally and physically. With a base in Kreuzberg, Doom Spa develops aesthetic and discursive formats that think through current social and technological developments.
Doom Spa has an affinity for sound, for music, and for gifs, and has so far manifested itself in artistic events as heterogeneous as exhibitions, performances, concerts, a multi-day feminist convention, and also in digital formats such as an online workshop for open-source sound software, an interactive website, live slideshows set to music, or dispatched texts. Doom Spa consciously operates at the edge of reach and attention economies and sees itself as feminist and intergenerational.