«Paulick liest Düttmann» präsentiert in einer Lesung die Publikation «Werner Düttmann. Nachdenken über Architektur», die den schreibenden Düttmann im Spiegel von Nachkriegs-, Architektur-Geschichte und -Moderne erfasst und zum Ausklang des 100. Geburtsjahrs Düttmanns erscheint. Gelesen wird Düttmann von der Schauspielerin Natascha Paulick.
Werner Düttmann (1921-1983) zählt zweifelsohne zu den bedeutendsten Architekten der Berliner Nachkriegsmoderne – jedoch auch als Verfasser von Reden und Schriften ist Düttmann bemerkenswert, wovon «Werner Düttmann. Nachdenken über Architektur» zeugt.
Das Nachdenken über Architektur praktizierte Düttmann neben seinen veröffentlichten Schriften vor allem auch in zahlreichen Notizen und tagebuchartigen Aufzeichnungen. Die oft abends im Eindruck aktueller Geschehnisse geschriebenen Texte reflektieren die baukulturellen und zeitgenössischen Umstände, die Möglichkeiten von Architektur und Stadtplanung und seines Wirkens.
Düttmann als Planer und Baupolitiker war prägend und ein prototypischer Charakter für seine Zeit. Er war eine öffentliche Person und auch Teil eines meinungsstarken und weitestgehend männlichen Kreises von Architekten und Politkern sowie Partei- und Verwaltungsfunktionären, die an der Gestaltung und Planung Westberlins einen großen Anteil hatten.
Dazu teilweise atypisch muten seine feinen, weit progressiven und oft fast poetischen Beobachtungen an, die eher unbekannt geblieben und im Baukunstarchiv der Berliner Akademie der Künste erhalten sind und von Sibylle Hoiman in einer nicht nur im «Düttmann Jahr» herausragenden Publikation zusammengestellt wurden.
Diesen ungebauten, geschriebenen Düttmann ausschnittsweise in einer Lesung vorzutragen übernimmt aus heutiger Position und Sicht auf die Architekturgeschichte bewusst eine Frauenstimme. Mit der Lesung durch die Schauspielerin Natascha Paulick wird zum Ende des «Düttmann Jahres» – und im Nachgang des ersten «Women in Architecture» Festivals in diesem Sommer – nochmals pointiert aufgegriffen, wie doch wir – die Nachfahr*innen – gemeinsamen und auch im kritischen Umgang vereint sind, mit dem Erbe der «großen Männer» in West und Ost der Nachkriegszeit.
Nicht nur durch ihre Verwandtschaft ist Natascha Paulick mit dem Architekturerbe Ostberlins verbunden. Persönlich und engagiert stritt sie in dritter Generation mit vielen Mitbetroffenen für die Rekommunalisierung der zum Spekulationsobjekt gewordenen Mietwohnungen in den einstigen Arbeiterpalästen und für die denkmalgerechte Erhaltung der Atelierwohnung Paulicks, die er zum Verdienst als solitären Aufbau auf einem der vom ihm entworfenen Bauten der heutigen Karl-Marx-Allee errichten durfte – und dem er, nach der Rückkehr aus seinem Chinesischen Exil während des Dritten Reichs, sein in Shanghai Stück für Stück demontiertes Arbeitszeitzimmer mit Möbeln, Boden-, Wand- und Deckenverkleidung einsetzte.
Es ist durchaus vorstellbar, wie Düttmann und Paulick – die in Geburt achtzehn und im Tod nur vier Jahre trennten – getrennt durch die Teilung in Ost- und West-Berlin, jeweils nachdenkend in ihren jeweiligen Arbeitszimmern schreibend oder planend ihre Abende verbrachten.
«Abschaffung der Hysterie – Planung und Realisierung eines entideologisierten, d. h. sachlichen und damit menschlichen Miteinander von Ost und West bzw. Nord und Süd bzw. jung und alt.»
Werner Düttmann, 1968
Im Jahr 2021 wurde auch die Auseinandersetzung mit dem baukulturellen Erbe des – mit Düttmann nicht unwesentlich verbundenen – «Doppelten Berlins» mit einem neuerlichen Antrag zur Aufnahme in das UNESCO Welterbe zurück in den Mittelpunkt des zivilgesellschaftlichen und fachlichen Interesses gerückt. Auf die Bedeutung der architekturgeschichtlichen und gesellschaftlich-politischen Relationen und die Notwendigkeit die Ost-West-Moderne Berlins zusammen zu denken und zu vermitteln kann nicht genug hingewiesen werden. Einen lebendigen Verweis auf dieses Zusammendenken gibt die Lesung anhand der wissenschaftlichen Arbeit von Sibylle Hoiman und dem Vortrag von Natascha Paulick, die ihr Engagement, ein wenig geschichtlicher Zufall und die Idee von Robert K. Huber am BHROX zu zusammenführen.
Werner Düttmann. Nachdenken über Architektur, © Akademie der Künste, Berlin und Wasmuth & Zohlen Verlag, 2021
Die Buchpräsentation und Lesung findet in Verbindung mit der Vernissage der Ausstellung «Berlin ist viele Städte» statt, die Ergebnisse des gleichnamigen forschenden Seminars anlässlich des 100. Geburtsjahres Düttmanns an der UdK Berlin – Architekturgeschichte + Architekturtheorie in Kooperation mit dem BHROX zeigt.